Warum wir über Unterwäsche reden sollten
In ihr verbringen wir mehr Zeit als in jedem anderen Kleidungsstück. Nichts sonst kommt uns so nahe. Sie begleitet uns in unseren persönlichsten Momenten – in guten und in schwierigen Zeiten. Sie ist funktional, intim, sexy – und sie spiegelt den kulturellen Zeitgeist wider. Und sie ist sogar politisch! Die Rede ist von einem unserer wichtigsten Kleidungsstücke: Unterwäsche. Und doch: Irgendwie behandeln wir Unterwäsche meist mit einer gewissen Verlegenheit und Distanziertheit. Warum ist das so?

Diese Frage beschäftigte mich schon seit einigen Jahren, ehe meine Freundin und Journalistinnenkollegin Emily Cronin und ich Hello Girls ins Leben riefen, einen Podcast über Damenunterwäsche. Wir fanden, dass Unterwäsche ein Thema ist, über das wir in aller Ausführlichkeit sprechen wollten. Und die große Resonanz, die die Serie seit ihrem Start im März dieses Jahres hervorgerufen hat, zeigt, dass andere das genauso sehen.

Der Titel ist eine Anspielung auf die legendäre Wonderbra-Werbekampagne „Hello Boys” mit Eva Herzigová, die 1994 wegen ihrer Oberweite auf britischen Plakatwänden für Aufsehen sorgte. Heute, 30 Jahre später, nehmen wir diesen patriarchalen Blickwinkel und die Schäden, die er anrichtet, viel bewusster wahr. Denn beim Thema Unterwäsche für Frauen sollte die weibliche Perspektive im Vordergrund stehen.
Wir sind überzeugt, dass Unterwäsche die Grundlage für alles ist – nicht zuletzt für gute Gespräche. Und zu reden gibt es eine Menge. Die Vorstellung darüber, was akzeptabel ist und was nicht, was sexy ist und was leger, hat sich verändert. Soweit nichts Neues. Damenunterwäsche verändert sich ständig und passt sich gesellschaftlichen Normen an. Sie reflektiert den sich verändernden Status von Frauen im Laufe der Zeit.

Der Wechsel von Korsetts zu einfachen BHs in den 1920er Jahren war auch ein Ausdruck für die Bemühungen der Frauen um Gleichberechtigung und freies Wahlrecht. Die hyperfemininen Schnitte des New Look von Dior in den 1950er Jahren waren Ausdruck des Wunsches nach einer Rückkehr zu traditionellen Familienstrukturen nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs. In den späten 1960er Jahren wurden BHs zwar nicht unbedingt verbrannt, doch die knappen und natürlichen BH-Formen dieser Zeit stellten eine deutliche Absage an frühere Vorstellungen von „traditioneller Weiblichkeit” dar – die Unterwäsche dieser Zeit war ein Ausdruck der sexuellen Revolution durch das Aufkommen der Pille. Erinnert sich noch jemand an die Empörung in den konservativen 80er Jahren, die Madonna – außer einem sichtbaren BH recht spärlich bekleidet – mit dem Song „Like A Virgin” auslöste?
In den frühen 2000er Jahren schließlich lachten wir alle über Bridget Jones’ riesige Unterhosen. Aber warum? Weil sie ein Zeichen dafür waren, dass eine Frau nicht mehr so begehrenswert war? War Bridgets figurformende Unterhose nicht einfach nur ein Versuch, sich den unmöglichen körperlichen Erwartungen anzupassen, die die Gesellschaft an Frauen stellte (und immer noch stellt)? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Klar, es war lustig; Unterwäsche ist immer wieder ein Grund zum Lachen. Doch das, was sich hinter diesem Lachen verbirgt, kann komplex und vielschichtig sein.
Heute scheinen wir eher bereit zu sein, solch unterschiedliche Facetten zu akzeptieren, weil Marken eben diese unterschiedlichen Erwartungen erfüllen. Trotzdem leben wir nicht in einer feministischen Welt. Wir mögen über die „Hello Boys”-Werbung schimpfen oder diejenigen bemitleiden, die sie damals für emanzipiert hielten, aber dennoch kämpfen wir im Jahr 2023 noch immer gegen das Patriarchat – während wir gleichzeitig hautfarbene Kleider und sichtbare Tangas gut finden. Sind wir wirklich so viel fortschrittlicher? Ich ergreife keine Partei. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass es beim Thema Unterwäsche noch viel zu entdecken gibt.
Hello Girls ist auf Spotify, bei Apple und überall dort erhältlich, wo du deine Podcasts hörst.
Kate Finnigan ist eine in London lebende Autorin, die für die Financial Times, The Gentlewoman, The Observer und Vogue schreibt.