Warum wir das Gesundheitswesen entkolonialisieren sollten
Zu keinem Zeitpunkt während meiner medizinischen Ausbildung – ich habe in einem Zeitraum von zehn Jahren drei Abschlüsse gemacht und unzählige Stunden auf Krankenstationen verbracht – hat jemand erwähnt, wie das Erbe von Kolonialismus und Rassismus meine Entscheidungen als Ärztin beeinflusst.

Kurz nach Abschluss meines Masterstudiums an der London School of Hygiene & Tropical Medicine – einer der weltweit besten Schulen für das Gesundheitswesen – war ich desillusioniert über die Art und Weise, wie das Thema gelehrt und diskutiert wird. Wir haben nie über die Spannungen zwischen mehrheitlich weißen Ärzt*innen aus der Mittelschicht und Patient*innen gesprochen, die einer ethnischen Minderheit angehören. Wir haben uns nie damit befasst, wie unsere Gesundheitseinrichtungen durch den Imperialismus geprägt wurden. Niemand hat diese Narrative in Frage gestellt. Niemandem wurde der Raum gegeben, dies zu tun. Das System war stark zugunsten einiger weniger gewichtet.
Medizin wird so gelehrt, wie sie praktiziert wird. Nur einige wenige Körper haben in der Geschichte jemals eine Rolle gespielt: gewöhnlich die von weißen, männlichen, unversehrten und heterosexuellen Menschen. Während meines Studiums saß ich in Vorlesungen und hörte Oberärzt*innen zu, die oft abschätzige, pauschale Verallgemeinerungen darüber machten, warum einige Schwarze ein Risiko für hohen Blutdruck hätten. Es wurde nicht erörtert, wie die Auswirkungen des Rassismus dazu führen können, dass schwarze Patient*innen überproportional von Bluthochdruck betroffen sind und wie dies zu tödlichen Schlaganfällen führen kann. Dies ist ein Konzept, das von Professor Arline Geronimus 1992 als „Verwitterung“ bezeichnet wurde.
Deshalb beschloss ich 2018, ein Kollektiv zu gründen: Decolonising Contraception (jetzt als gemeinnützige Organisation Reproductive Justice Initiative bekannt). Ziel war es, die rassebezogenen Ungleichheiten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und die Auswirkungen des kolonialen Erbes auf die Bereitstellung von Verhütungsmitteln zu thematisieren. Wir befassten uns mit der Geschichte unserer Institutionen, untersuchten das Misstrauen zwischen Anbieter*innen und Patient*innen und wie sich die Rasse auf Gesundheitsberatungen auswirkt. Zunehmend wandten sich sowohl Bürger*innen als auch medizinische Kolleg*innen mit Beispielen von Ungerechtigkeit oder Rassismus an mich, die sie im Gesundheitssystem erlebt hatten.
Die diversen Ereignisse des Jahres 2020 – die Proteste von Black Lives Matter in den USA, die auf die schwarze Diaspora und andere marginalisierte Menschen auf der ganzen Welt ausstrahlten – sowie die unverhältnismäßig hohe Zahl von Todesfällen durch COVID-19, die dieselben Communitys betreffen, machten die Diskussion über Rassismus und Gesundheit noch dringlicher.
Das hat mich dazu veranlasst, das Buch Divided: Racism, Medicine And Why We Need To Decolonise Healthcare zu schreiben.Das Buch stützt sich auf meine eigenen Erfahrungen als Patientin und Ärztin, auf die meiner Familie – die in den 1950er-Jahren aus Nigeria nach Großbritannien auswanderte und Jahrzehnte vor mir im selben Gesundheitssystem arbeitete –, und auf die der Menschen im globalen Süden, die versuchen, etwas zu verändern. Letztendlich hoffe ich, dass Divided denjenigen, die sich gegen die Ungerechtigkeiten im Gesundheitswesen auf der ganzen Welt wehren, einen Anstoß geben wird, damit wir ein gerechteres System für alle bekommen.
Dafür habe ich im Folgenden eine Liste von fünf People of Colour zusammengestellt, die sich dafür einsetzen, die medizinische Welt zum Besseren zu verändern (in keiner bestimmten Reihenfolge).
- Chidiebere Ibe – Ein nigerianischer Medizinstudent und Illustrator, der medizinische Illustrationen anfertigt, in denen Schwarze im Mittelpunkt stehen.
- Malone Mukwende – Mitgestalter von Mind The Gap, einem kostenlosen Handbuch für Studierende der Medizin, das zeigt, wie bestimmte Krankheiten auf dunklerer Haut aussehen.
- Dr. Ayoade Alakija – Ehemalige Co-Vorsitzende der African Vaccine Delivery Alliance der Afrikanischen Union, die während der COVID-19-Pandemie maßgeblich an der Aufdeckung von Ungleichheiten bei der Impfstoffverteilung beteiligt war.
- Dr. Autumn Asher BlackDeer – Eine indigene Wissenschaftlerin und Aktivistin, die aufzeigt, wie wir gesundheitliche Chancengleichheit für indigene Gemeinschaften erreichen können.
- Dr. Uché Blackstock – Gründerin und Geschäftsführerin von Advancing Health Equity, einer Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Rassismus im Gesundheitswesen abzubauen.
Dr. Annabel Sowemimo ist Ärztin für sexuelle und reproduktive Gesundheit, Gründerin der Reproductive Justice Initiative und Autorin des Buchs Divided: Racism, Medicine And Why We Need To Decolonise Healthcare.