„Instrumente des Widerstands und der Wiedergutmachung“ – Die kraftvolle Arbeit der senegalesisch-italienischen Künstlerin Binta Diaw
Als die bildende Künstlerin Binta Diaw 11 Jahre alt war, stieß sie auf eine Zeichnung der Brooks, eines Sklavenschiffs aus dem 18. Jahrhundert. Das Bild, das 1788 von britischen Gegnern der Sklaverei in Auftrag gegeben wurde, zeigte Menschen, die an Bord des Schiffes zusammengepfercht waren, und sollte das Bewusstsein für die Unmenschlichkeit der Sklaverei schärfen. „Es hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt sie über dieses Bild. „Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich es im Laufe der Jahre verinnerlicht habe.“

2019 fertigte Diaw eine Replik der Zeichnung aus Erde und Samen an. Die Installation Chorus Of Soil war „ein Tempel, der dem Gedenken an all die Frauen, Männer und Kinder gewidmet ist, die während der Überfahrten ihr Leben verloren haben“. Aber sie bezog sich auch auf die Gegenwart. Sie verwendete Melonensamen – eine Anspielung auf die von der Mafia betriebenen Plantagen in Süditalien, wo heute Tausende von Migrant*innen systematisch ausgebeutet werden. „Es war meine Art, an die Vergangenheit zu erinnern und auf etwas hinzuweisen, das im Grunde nur eine andere Art der Sklaverei ist“, erklärt sie. „Mein Beitrag zu unserer kollektiven Geschichte.“
Die in Mailand als Tochter senegalesischer Eltern geborene Diaw stellt diesen Beitrag in den Mittelpunkt ihrer Kunst. Mit Textilien, Fundobjekten und natürlichen Materialien erforscht sie in ihren Werken Themen wie Migration und Einwanderung, Identität und den schwarzen weiblichen Körper, wobei sie den eurozentrischen Blick herausfordert und oft die Wahrnehmung des Italienischen und Afrikanischen in Frage stellt.
„Ich bin daran interessiert, das Schwarzsein sowohl durch meine persönliche Erfahrung als schwarze Italienerin zu erforschen – etwas, das zu oft noch als ,exotisch‘ und ,anders‘ angesehen wird – als auch durch die Brille der Archivforschung, der afrodiasporischen Gemeinschaften und des intersektionalen Feminismus“, sagt sie. „Ich möchte hier meine eigenen Bedürfnisse erfüllen und die derjenigen, die sich in dem, was ich tue, wiedererkennen.“ Das bedeutet vor allem, die Vergangenheit zu dekonstruieren. „Ein Großteil der Geschichte der Schwarzen hat es nie in die Geschichtsbücher geschafft“, meint Diaw. „Ich möchte unsere Stimmen neu kontextualisieren und uns den Raum geben, der uns vorenthalten wurde.“
In einigen ihrer beeindruckendsten Werke verwendet Diaw Haar – insbesondere geflochtenes afrikanisches Haar –, um diesen Raum zurückzuerobern. Für ihre Installation Uati’s Wisdom aus dem Jahr 2020 fertigte sie eine riesige, tentakelartige Skulptur aus Haarverlängerungen an, die von der westafrikanischen Wassergöttin Mami Wata inspiriert wurde, um radikale Traditionen des Matriarchats zu feiern. Dïà s p o r a (2021) zeigte eine riesige schwarze Welle, die eine Kartografie der Maroon-Routen im Zuge der Befreiung aus der eigenen Sklaverei darstellte und die Bedeutung des afrikanischen Haares bei der Weitergabe von Volkswissen hervorhob.
„Genau wie Körper und Ländereien war auch das Haar Gegenstand der Kolonisierung“, sagt sie. „Über Jahrhunderte hinweg hat es Funktionen, Bedeutungen und Werte angenommen, die ausschließlich von eurozentrischen ästhetischen Normen diktiert wurden. Ich versuche, diese Normen zu brechen und das Haar in ein Instrument des Widerstands und der Rechtfertigung zu verwandeln.“
Ihre Arbeit hat großen Anklang gefunden. Die Arbeiten der 28-Jährigen wurden bereits in Galerien in ganz Europa und Afrika ausgestellt, und im vergangenen Jahr wurde ihr der renommierte Pujade-Lauraine-/Carta Bianca-Preis verliehen. Im Juni wird sie eine überarbeitete, ortsspezifische Version von Chorus Of Soil auf der Liverpool Biennial vorstellen.
„Liverpool ist der Ort, an dem die Brooks ausgelaufen ist“, sagt Diaw. „Darum ist es wichtig, dass dies in der Installation aufgegriffen wird. Ich möchte, dass es ein Moment der Regeneration ist – ein weiterer persönlicher Versuch, die Dinge zu richtigzustellen.“
Die Liverpool Biennial läuft vom 10. bis 17. Juni 2023.
Marianna Cerini ist eine freiberufliche Journalistin für Formate wie Conde Nast Traveller, BBC Travel, CNN Style und Fortune.