Dünn ist (wieder) in – Welche Folgen hat das für die Body Positivity?
Als die britische Regierung vor drei Jahren Covid-Probleme fettleibigen Patient*innen anheften wollte, gründeten die Fotografin Chloe Sheppard und ich The Fat Zine, eine Plattform für dicke Kreativköpfe auf der Suche nach einem sicheren Umfeld zur Veröffentlichung ihrer Arbeit, unterstützt von einem Team, das ausschließlich aus dicken Creatives besteht. Bisher haben wir über 2.500 Exemplare verkauft und gewinnen täglich neue Follower*innen hinzu, deren Körperformen das volle Spektrum abdecken.

Der Launch von The Fat Zine war für mich alles andere als Neuland: Ich schreibe bereits seit über zehn Jahren zum Thema Body Positivity. Den Begriff selbst gibt es freilich schon lange, bevor er in den frühen 2010er-Jahren in den Mainstream gelangte. Fürsprecher für übergewichtige Menschen prägten die Bezeichnung in den 1960ern, um andere Dicke dazu zu ermutigen, ihr Aussehen und ihren Körper zu lieben und sich damit wohlzufühlen, anstatt unsere Formen als etwas Negatives zu betrachten. Als vor 10 bis 15 Jahren Plus-Size-Modeblogs immer präsenter wurden und feministische Wertvorstellungen anderswo im Internet an Wichtigkeit und Aufmerksamkeit gewannen, rückte neben anderen Themen wie intersektionaler Diskriminierung von Körpern und Selbstfürsorge auch Body Positivity in den Vordergrund.
Schon bald verstanden sich Firmen darauf, die körperliche Selbstbestimmung von Frauen zu Geld zu machen, und passten ihre Werbekampagnen an den Zeitgeist an. Girl-Power wurde nun dazu genutzt, um Schlankheits-Lollis zu bewerben und zu verhökern. Fitnessstudios boten weiblichen Zusammenhalt und ein Maß an Solidarität untereinander im Kampf gegen das Bodyshaming der Vergangenheit: Bäuche, Beine und Pos schwitzten von nun im neuen feministischen Gewand und mit ebensolchem Vokabular. T-Shirts mit Skizzen hängender Brüste waren schnell ausverkauft.
Die logische Folge dieser Aneignung von Begriffen aus dem Bereich der Selbstliebe: Wir haben diese Begriffe langsam satt. Es macht sich einen gewisse Feminismusmüdigkeit breit, und immer mehr wird befürchtet, dass Fortschritte bei der Befreiung zukünftig nicht mehr garantiert sind.
Insbesondere für die Fürsprecher der Dicken ist die neuerliche Verehrung der extremen Dünnheit in der Promi-Landschaft und den Mainstream-Medien ein herber Tiefschlag. Auf den Laufstegen sind mittlerweile wieder weniger Plus-Size-Models zu sehen als in den Jahren zuvor. Rückschläge bei Fortpflanzungsrechten werden sich zudem vor allem auf jene negativ auswirken, die bei der medizinischen Versorgung auch so schon benachteiligt waren. Wusstest du zum Beispiel, dass Maßnahmen zur Notfallverhütung bei Plus-Size-Menschen schlichtweg nicht greifen und es auch noch nie getan haben?
Viele geben dabei Ozempic die Schuld. Dabei handelt es sich um den Handelsnamen des Medikaments Semaglutid, das Patient*innen wöchentlich gespritzt wird und ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt worden war. Plötzlich stellte es eine schnelle Lösung dar, und alle, die es schon immer auf Dicke abgesehen hatten – auch wenn sie das Gegenteil behaupteten – sahen sich in ihrem Denken bestätigt. Und während viele Menschen sich in ihrem Körper wohler fühlen als je zuvor, wurden die Hauptanliegen der Bewegung zur Befreiung der Dicken, aus der die Body Positivity hervorging, noch nicht genügend behandelt.
Unsere zweite Ausgabe von The Fat Zine, die in Zusammenarbeit mit der von uns geschätzten Plus-Size-Autorin Marie Southard Ospina entstanden ist, enthält eine Chronik zum Fortschritt des Fett-Aktivismus im Laufe der Jahre bis heute.
Ganz wie bei der Feminismusbewegung ist dieser Fortschritt auch beim Fett-Aktivismus ein stetiges Auf und Ab. Als ein Mensch, der das Bodyshaming der 2000er-Jahre und die überwältigende vierte Feminismuswelle der 2010er erlebt hat und heute beobachtet, dass dünn erneut als Ideal gilt, ist es meiner Meinung nach wichtiger denn je, diese Muster zu erkennen. Dieser Rückschritt ist nicht das Ende des Feminismus oder der Body Positivity, sondern eine entscheidende Zeit, in der an der nächsten Weggabelung auf dem Pfad des Feminismus und der Befreiung von (weiblichen) Körperidealen richtig abgebogen werden muss.
Die Waliserin Gina Tonic ist Kultur- und Sexautorin sowie Redakteurin bei The Fat Zine – eine Publikation, die die Kunst und Geschichten von dicken Kreativen in den Mittelpunkt stellt