Die Wiederauferstehung der Bibliotheken
Jeder Bücherwurm wäre geknickt, wenn er in den Nachrichten lesen müsste, dass öffentliche Bibliotheken geschlossen werden – allein im Vereinigten Königreich fast 800 Stück seit 2010. Doch es gibt Hoffnung: Überall auf der Welt entstehen kleine, spezialisierte Bibliotheken, die sowohl digitale als auch physische Räume nutzen, um uns allen Bücher näherzubringen.
Die International Library of Fashion Research in Oslo hat mehr als 5.000 Titel, von Nachschlagewerken bis zu Zeitschriften ab 1975, und auch ein digitales Angebot. 2021 hat die multidisziplinäre Marke Saint Heron von Solange Knowles eine virtuelle Bibliothek und ein Archiv schwarzer Autor*innen ins Leben gerufen, wo Mitglieder Bücher für jeweils 45 Tage ausleihen können. Und dann ist da noch Phoebe Lovatt’s Public Library, ein Raum in London, in dem Besucher*innen in der Sammlung von Büchern und Zines stöbern und in regelmäßigen Salons über Texte diskutieren können.
Das alles sind Zeichen einer Zeit, in der Bücher voll in Mode sind. BookTok, der Bereich von TikTok, in dem es um Lesen geht, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Der Hashtag hat sage und schreibe 131 Milliarden Aufrufe und half den Verlagen 2021 laut The New York Times, 20 Millionen gedruckte Bücher zu verkaufen. Bilder von Prominenten wie Kendall Jenner und Emily Ratajkowski, wie sie White Girls von Hilton Als und Tonight I’m Someone Else von Chelsea Hodson lesen, haben diese Titel berühmt gemacht.
Inzwischen sind Stapel mit gelesenen oder noch zu lesenden Büchern vertraute Bilder in Instagram-Feeds (Inspirationen zu Postings gibt’s zum Beispiel unter @bibliostylefile von Nina Freudenberger). Wodurch wird der Trend noch weiter bestärkt? Durch mehr Verbindungen zwischen Mode und Verlagswesen – zum Beispiel die Autorin Ottessa Moshfegh, die für Maryam Nassir Zadeh AW22 modelt, und die Zusammenarbeit von Rachel Comey mit The New York Review of Books. Das Ergebnis: Bücher – die einst als hoffnungslos langweilig galten – sind jetzt groß in Mode.

Auch wenn sich das abwegig anhört, glauben die in der Buchbranche Tätigen, dass das steigende Interesse auf den Wunsch zurückzuführen ist, tiefer zu denken. Die Schriftstellerin und Beraterin Lovatt gründete 2021 ihre Public Library als einen Ort, an dem man nicht nur Bücher lesen, sondern auch über sie sprechen kann. Die Salon-Veranstaltungen sind beliebt – vielleicht, weil sie eine gewisse Abwechslung zu anderen Terminen im Kalender bieten. „Irgendwie geht es nicht um Bücher an sich; sie haben eher Symbolcharakter“, sagt sie. „Es geht darum, Raum für eine andere Art von Austausch und eine andere Art von Verbindung zu schaffen. Ich gehe gerne etwas trinken, aber ich genieße auch den Austausch von Ideen.“
Lovatt fügt hinzu, dass Bücher einen Gegenpol zu unserem digitalen Leben bilden. „Wir hören viel darüber, wie verdummt unsere Kultur geworden ist“, sagt sie. „Aber ich finde, das stimmt ganz und gar nicht. Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach nuancierten Gesprächen. Die sozialen Medien sind wunderbar, um auf einer Ebene zu kommunizieren und Kontakte zu knüpfen, aber es gibt so wenig Raum für Nuancen.“
Lovatt gibt zu, dass sie sich genauso schuldig fühlt wie wir alle, wenn es um sinnlose Bildschirmzeit geht, und dass Lesen eine dringend benötigte Abwechslung ist. „Selbst wenn mir nicht danach ist, zwinge ich mich dazu“, sagt sie. „Wenn du ein Buch in die Hand nimmst, hast du eine ganz andere Sinneserfahrung – eine, die ich brauche und nach der ich mich sehne.“
7 herausragende Bibliotheken auf der ganzen Welt
- The Morgan Library, New York City – Opulent, mit illuminierten Manuskripten an den Wänden und Originalmanuskripten von Balzac.
- Königlich portugiesisches Kabinett der Literatur, Rio de Janeiro – Eine Fundgrube für Bibliophile, mit der größten Sammlung portugiesischer Texte außerhalb Portugals.
- Beitou Public Library, Taipei – Taiwans erste umweltfreundliche Bibliothek, in der Regenwasser für die Toiletten genutzt wird und natürliches Licht den Strombedarf reduziert.
- The British Library, London – Eine der größten Sammlungen der Welt mit mehr als 170 Millionen Objekten, darunter ein Notizbuch von Leonardo da Vinci.
- Stadtbibliothek Stuttgart – Dieser minimalistische Bau des Architekten Eon Young Yi ist einfach umwerfend.
- Bibliotheca Alexandrina – Die Stadt galt vor 2.000 Jahren als Zentrum des Wissens, bevor ihre Bibliothek niedergebrannt wurde. Dieses Gebäude aus dem Jahr 2002 soll dieses Unrecht wiedergutmachen.
- Woollahra Library At Double Bay, New South Wales – Ein inklusiver Space für gemeinsames Arbeiten, in Form eines Gartens inmitten einer Bibliothek.
Lauren Cochrane ist leitende Moderedakteurin bei The Guardian und die Autorin von The Ten.
Stuttgart City Library, Alamy; Beitou Public Library, Alamy; Phoebe Lovatt’s Public Library; Royal Portuguese Cabinet of Reading; Bibliotheca Alexandrina, Shutterstock; The British Library, Shutterstock; The Morgan Library, Alamy; Woollahra Library, Alamy