Die US-amerikanisch-iranische Dichterin Solmaz Sharif über die „revolutionäre Möglichkeit des Schreibens“
„Kunst ist eine Möglichkeit, sich weniger einsam zu fühlen“, sagt die US-amerikanisch-iranische Dichterin Solmaz Sharif. Wenn wir Kunst als Verbindungsglied sehen, als Hand, die wie aus dem Nichts nach uns greift, um uns zu trösten und zu unterstützen, dann ist Sharif eine ihrer achtsamsten Leitfiguren. Sie ist nicht nur Dichterin, sondern auch Wissenschaftlerin (Assistenzprofessorin für Englisch an der Arizona State University). Sie hat für Ihre Werke, in denen Lesende häufig dazu auffordert werden, über die menschlichen Kosten von Krieg und Hass nachzudenken, viele Auszeichnungen erhalten, darunter den PEN Center Literary Award 2017 für ihren ersten Sammelband Look. Außerdem war sie Finalistin beim National Book Award in den USA.

Ich frage sie, ob ihre neueste Gedichtsammlung Customs – eine schonungslose Hinterfragung der Grenzen, die wir um Nationen und Menschen ziehen – eine Momentaufnahme unserer Zeit sei. „Mein Fokus ist viel enger gefasst“, erwidert sie. „Ich denke dabei an ein einzelnes persönliches Gespräch zwischen zwei Menschen in einem riesigen Raum.“
Die Sprache in Customs hat in der Tat oft den Charakter von Unterhaltungen. Die Geschichten handeln von zurückgelassenen Familien und Häusern, von der Unmenschlichkeit der Grenzkontrollen und vom Festhalten an einer Sprache, die sich nicht mehr wie die eigene anfühlt. Diese Erinnerungs- und Erfahrungsfetzen dürften sowohl bei denen, die sie verstehen, als auch bei denen, die sie gerne verstehen würden, etwas zum Klingen bringen.
Sharif wurde als Tochter iranischer Eltern in Istanbul geboren und durchläuft gerade das Einbürgerungsverfahren in den USA. Sie sieht sich selbst als Inhalt, der durch Form verunstaltet wurde. Sie hat das Gefühl, dass ihr „Anderssein“ – als schreibende Person of Colour, die oft die Erfahrungen der Diaspora und der Staatenlosen zu Papier bringt – zum „Alibi“ geworden ist. „Diese Fetischisierung ist strukturell bedingt, und solange diese Struktur besteht, kann ich nur wenig tun“, sagt sie. „Aber ich weigere mich zuzulassen, dass sie meine Beziehung zur Poesie, die der Struktur vorausgeht und sie überdauern wird, noch mehr deformiert, als sie es bereits getan hat.“
Sharifs intellektuelle Neugier kommt im Überfluss zum Vorschein; sie denkt immer nach, greift stets nach der nächsten sprachlichen Möglichkeit und gewinnt aus jedem Satz, jedem Wort und jeder Pause mehr und mehr Bedeutung. Vielleicht lässt sie sich am besten mit kreativer Rastlosigkeit beschreiben. „Ich wollte mich auf die revolutionärere Möglichkeit des Schreibens zubewegen“, sagt sie. Früher hat sie mehr über den Tonfall und Rhythmus ihrer Arbeit als über deren politischen Inhalt gesprochen. „Ich bin eine zutiefst formale Dichterin, aber ich glaube, dass Form etwas ist, das etwas mit dem Inhalt macht und ihn verunstaltet oder daran hindert, auf eine andere Art zu existieren. Nicht zu wissen, was das sein könnte, ist eines der zentralen Themen meiner bisherigen Arbeit.“
Als wir darüber sprechen, was sie als Nächstes schaffen könnte, sagt sie, es sei keine Idee, sondern eher eine Klangfarbe: „ratlos“. „Tut mir leid, das ist so wirr!“ Sie beginnt zu lachen. „Du dachtest bestimmt, ich sage etwas Tiefgründiges über die Situation im Iran, aber alles, was ich gesagt habe, war – ein Gefühl der Ratlosigkeit.“
Customs von Solmaz Sharif ist jetzt im Handel erhältlich.
Marie-Claire Chappet ist eine in London ansässige Kunst- und Kulturjournalistin und mitwirkende Redakteurin bei Harper’s Bazaar.