Die nachdenkliche, verspielte Kunst von Stephanie H Shih
Stephanie H Shih schreibt das Aufblühen ihrer künstlerischen Karriere einer Handvoll Teigtaschen und einer Flasche Chinkiang-Reisessig zu. 2018 beschloss die taiwanesisch-amerikanische Keramikerin, diese beiden asiatischen Grundnahrungsmittel mit Ton nachzubilden. Sie fühlte sich sowohl von der Alltäglichkeit dieser Objekte als auch von ihrer Allgegenwart in asiatisch-amerikanischen Haushalten angezogen, so auch in ihrem eigenen. Die fertigen Stücke sind so detailgetreu, dass sie fast als das Original durchgehen könnten. Als Shih sie auf Instagram postete – angefangen mit der schwarzen Essigflasche – war die Reaktion so überwältigend positiv, dass ihr klar wurde, dass sie etwas Großem auf der Spur war.

„Viele Leute aus der chinesisch-amerikanischen Community erzählten mir Geschichten über diese Lebensmittel und ihre Kindheit“, sagt Shih aus ihrem Studio in Brooklyn. „Es war klar, dass diese Produkte nicht nur zu meinen persönlichen Erinnerungen gehörten, sondern auch zu einem Gemeinschaftserlebnis. So kam ich darauf zu ergründen, welchen anderen Grundnahrungsmitteln die Menschen in der Diaspora nostalgisch nachhängen.“

Die anschließende Serie Oriental Grocery ging genau dieser Frage nach – und machte Shihs Arbeit mit Keramik zu einem Vollzeitprojekt. Für die Serie befragte Shih mehr als 20.000 ihrer asiatisch-amerikanischen Follower*innen in den sozialen Medien, um eine kulturell und ethnisch vielfältige Liste von Lebensmitteln zusammenzustellen, die für ihre Herkunft repräsentativ sein sollten. Das Ergebnis waren lebensgroße Versionen von Reissäcken, Gewürzen und verschiedenen Sojasoßen, die die Bandbreite der asiatisch-amerikanischen Diaspora aufzeigen und die vorherrschende Vorstellung von der asiatischen Küche als „monolithisch“ infrage stellen sollten.

In ihren jüngsten Werken hat sie das Narrativ ausgedehnt – immer im Dialog mit ihrem Publikum – und sich mit den westlichen Lebensmitteln beschäftigt, die in der asiatischen Kultur einen besonderen Platz einnehmen. Von Spam und Kit-Kat bis hin zu dänischen Butterkeksen und Ovomaltine – das alles sind Produkte, die durch koloniale Ausbeutung, Assimilierung und militärische Präsenz (wie im Fall von Spam, einem US-amerikanischen Import nach Asien) in die asiatischen Diaspora-Communitys gelangten, aber äußerst beliebt geworden sind.
„Essen spielt eine große Rolle dabei, wie Menschen, insbesondere Einwandernde und deren Kinder, eine Verbindung mit ihren Kulturen herstellen können“, erklärt Shih. „Für mich ist das das natürliche Vehikel, um zu verstehen, wie wir unser Selbstverständnis entwickeln.“

Die Künstlerin hat Essen jedoch nicht nur auf persönlicher Ebene genutzt. In ihrer Ausstellung Open Sundays, die letztes Jahr in der New Yorker Lower East Side stattfand, untersuchte sie die 100-jährige Überschneidung zwischen der chinesischen und der jüdischen Community in diesem Viertel – anhand klassischer Produkte, die in den Speisekammern dieser beiden Kulturen zu finden sind, wie White Rabbit Creamy Candy, Dr. Brown’s Cel-Ray Soda, Yang Jiang Preserved Beans und Streit’s Passover Matzos.
Ihre letzte Einzelausstellung in der Berggruen Gallery in San Francisco war eine Hommage an die Kulturgeschichte von Chinatown – nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Büchern, Filmen (in Form von toll gestalteten Keramik-Videokassetten) und Objekten der Popkultur, die das Viertel geprägt haben, wie zum Beispiel perfekte Repliken von Nike Air Jordans und eine „Linsanity“-Basketballmütze (nach dem taiwanesisch-amerikanischen Spieler Jeremy Lin, der 2012 zu plötzlichem Ruhm gelangte), denn „das Ansehen der NBA hat etwas sehr Asiatisch-Amerikanisches“, sagt Shih.
„Was mich interessiert, ist das Konzept der ,Authentizität‘ zu hinterfragen und mich vielmehr auf den kulturellen Austausch zu konzentrieren“, fügt Shih hinzu. „Eine Kultur bleibt nie unberührt von anderen Kulturen, aber oft versuchen die Leute, sie einzufrieren, um sie irgendwie zu schützen. Das ist jedoch unhistorisch und nicht hilfreich, denn die Realität ist viel differenzierter. Ich möchte mit meinen Arbeiten die Denkweise über unsere Identitäten weiter fassen.“
Marianna Cerini ist eine freiberufliche Journalistin, die sich mit Kulturtrends, Reisen, Mode und Kunst befasst. Sie hat u. a. für Conde Nast Traveller, BBC Travel, CNN Style und Vogue Italia geschrieben.
Jasmine Rice (2022), Air Jordan (2022) Berggruen Gallery; Dr Brown’s Cel Ray Soda (2022); Yang Jiang Preserved Beans (2022); Five Books (2022), Berggruen Gallery; White Rabbit Candy (2022); Four VHS Tapes (2022), Berggruen Gallery; Ovaltine (2021); Danish Butter Cookies (2021), all Stephanie H Shih ⓒ Robert Bredvad